Unser Gehirn arbeitet durch die Aktivität seiner fast 100 Milliarden Neuronen, die jeweils Informationen in Form von elektrischen Signalen sammeln, verarbeiten und weitergeben. Bisher war jedoch nicht viel darüber bekannt, wie die Unterschiede in den Eigenschaften dieser Zellen von Mensch zu Mensch für menschliche kognitive Fähigkeiten wie Intelligenz von Bedeutung sind.
Es gab Hinweise darauf, dass die Größe sogenannter Dendriten, der lang verzweigten Vorsprünge, durch die jedes Neuron Signale von Tausenden anderer Zellen empfängt, eine Rolle spielen könnte: Insbesondere in Gehirnarealen, in denen verschiedene Arten von Informationen integriert sind, wie dem Frontal- und Temporallappen, haben Gehirnzellen größere Dendriten. In diesen Hirnarealen ist der Cortex, in dem sich die meisten Neuronen befinden, auch bei Menschen mit höherem IQ dicker. Theoretische Studien sagten außerdem voraus, dass größere Dendriten Zellen helfen könnten, elektrische Signale schneller zu initiieren.
Aber wegen des sehr schwierigen Zugangs zu menschlichen lebenden Neuronen war es bis jetzt eine offene Frage, ob eine dieser zellulären Eigenschaften tatsächlich mit menschlicher Intelligenz in Verbindung gebracht werden konnte.
Eine Zusammenarbeit von Neurowissenschaftlern der Freien Universität Amsterdam mit Neurochirurgen und klinischen Psychologen des Universitätsklinikums Amsterdam ermöglichte es nun herauszufinden, ob intelligentere Gehirne tatsächlich besser mit schnelleren und größeren Zellen ausgestattet sind. „Die Studie ist die erste, die die Einzelzellperspektive einnimmt und zelluläre Eigenschaften mit der menschlichen Intelligenz verknüpft“, erklärt Seniorautor Prof. Huib Mansvelder, Experte für zelluläre Neurowissenschaften, der im Human Brain Project arbeitet.
Das niederländische Team untersuchte 46 Personen, die wegen Hirntumoren oder Epilepsie operiert werden mussten. Jeder Patient nahm einen IQ-Test vor der Operation, als Teil eines presurgery assesment. Um auf den erkrankten Teil tief im Gehirn zuzugreifen, müssen Chirurgen häufig kleine unbeschädigte Proben des Temporallappens entfernen. Diese Proben enthielten noch lebende Zellen, die die Wissenschaftler untersuchten. Sowohl die Größe und dendritische Komplexität der Zellen als auch ihre elektrischen Signale – sogenannte Aktionspotentiale – wurden im Labor gemessen und mit den IQ-Werten verglichen.
Zusammenfassung des Ansatzes: Die Wissenschaftler konnten einen informationsreichen mehrdimensionalen Datensatz von menschlichen Probanden sammeln, einschließlich Einzelzellphysiologie, neuronale Morphologie, MRT und IQ-Testergebnisse. Der blau hervorgehobene Bereich des Gehirns zeigt den Ort der kortikalen Dickenmessungen an, das schwarze Quadrat zeigt den typischen Ursprung des resezierten kortikalen Gewebes an
Sie fanden heraus, dass Zellen von Menschen mit höherem IQ längere, komplexere Dendriten und schnellere Aktionspotentiale aufweisen, insbesondere bei erhöhter Aktivität. Mit Computermodellen konnten sie auch zeigen, dass Neuronen mit größeren Dendriten und schnelleren Aktionspotentialen mehr eingehende Informationen verarbeiten und detailliertere Informationen an andere Neuronen weitergeben können.
„Traditionell konzentriert sich die Forschung zur menschlichen Intelligenz auf drei Hauptstrategien: bildgebende Untersuchungen der Gehirnstruktur und -funktion, genetische Studien zur Suche nach Genen, die mit Intelligenz assoziiert sind, und Verhaltenspsychologie“, erklärt Huib Mansvelder Verhaltenspsychologische Studien haben gezeigt, dass höhere IQ-Werte mit schnelleren Reaktionszeiten der Probanden verbunden sind. Die neuen Ergebnisse liefern eine zelluläre Erklärung für diese Assoziation und verknüpfen Erkenntnisse aus den einzelnen Ansätzen, um zu erklären, wie identifizierte Gene für Intelligenz zu einer erhöhten kortikalen Dicke, größeren Neuronen sowie schnelleren Reaktionszeiten bei Menschen mit höherem IQ führen können.
Dabei verbindet die Studie Organisationsebenen im menschlichen Gehirn von der Funktion der Zellen über Schaltkreise bis hin zum Verhalten. „Das ist eines der großen Ziele für uns, mit all diesen Partnern aus anderen Disziplinen der Neurowissenschaften im Human Brain Project zusammenzuarbeiten, um die verschiedenen Wissensebenen über das Gehirn zu verknüpfen“, sagt der Wissenschaftler. Follow-up-Studien sind bereits geplant. „Da die IQ-Zahl das zusammengefasste Ergebnis einer Vielzahl von Tests ist, haben wir nun die Möglichkeit, in die Daten einzutauchen und genauer zu untersuchen, welche Fähigkeiten insbesondere am stärksten mit diesen Zellmerkmalen korrelieren.“
Schnellere Aktionspotentiale und größere Dendriten, um mehr synaptische Informationen zu empfangen und zu verarbeiten, scheinen ein kleiner Unterschied zwischen Neuronen zu sein. Da unser Gehirn jedoch aus fast 100 Milliarden Neuronen besteht, multipliziert sich dieser Effekt schnell zu einem großen Effekt auf das Rechenpotential des gesamten Gehirns: „Es ist ein kleiner Schritt auf der Ebene eines einzelnen Neurons, ein riesiger Sprung für die Rechenleistung des Gehirns“, sagt Mansvelder.
Veröffentlichung in eLife:
Große und schnelle menschliche Pyramidenneuronen assoziieren mit Intelligenz
Autoren: Natalia A. Goriounova, Djai B. Heyer, René Wilbers, Matthijs B. Verhoog, Michele Giugliano, Christophe Verbist, Joshua Obermayer, Amber Kerkhofs, Harriët Smeding, Maaike Verberne, Sander Idema, Johannes C. Baayen, Anton W. Pieneman, Christiaan P.J. de Kock, Martin Klein, Huibert D. Mansvelder.
https://elifesciences.org/articles/41714 , Doi: 10.7554/eLife.41714
Kontakt:
Prof. Huib Mansvelder
[email protected]
Prof. Huib Mansvelder leitet die Abteilung für Integrative Neurophysiologie an der Freien Universität Amsterdam. Sein Forschungsteam ist führend in Bereichen wie Einzelzellmodellierung und Messungen an lebenden menschlichen Neuronen. Im HBP trägt er zum Forschungsgebiet der menschlichen Gehirnorganisation bei, das die Komplexität des Gehirns von der Ebene der Genexpression und Moleküle bis hin zu den übergeordneten Phänomenen der Kognition untersucht.
Siehe auch:
OKT. 9, 2018
Acetylcholin verändert die laterale Hemmung in kortikalen Schaltkreisen schnell
In einer kürzlich in Nature Communications veröffentlichten Studie zeigte das Team von Huib Mansvelder schnelle Auswirkungen des Neuromodulators Acetylcholin auf kortikale neuronale Netzwerke von Mensch und Maus. https://www.humanbrainproject.eu/en/follow-hbp/news/acetylcholine-rapidly-alters-lateral-inhibition-in-cortical-circuits/